juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 08.10.2025 - IV ZR 161/24
Autor:Dr. Wendt Nassall, RA BGH
Erscheinungsdatum:12.12.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 31a BRAO, § 185 BGB, § 270 BGB, § 675r BGB, EUV 2024/886
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 25/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Nassall, jurisPR-BGHZivilR 25/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Gläubiger trägt im Verhältnis zum Schuldner das Risiko der Fälschung der Kontobezeichnung durch einen unbekannten Dritten



Leitsatz

Die Gefahr des Verlusts bei einer Geldüberweisung geht bei einem unwahrscheinlichen Kausalverlauf (hier: Fälschung einer Kontobezeichnung durch einen unbekannten Dritten) nicht nach dem Rechtsgedanken des § 270 Abs. 3 BGB i.V.m. § 242 BGB auf den Gläubiger über.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, zu wessen Lasten es geht, wenn ein unbekannter Dritter bei zwischen Gläubiger und Schuldner verabredeter Geldüberweisung die dem Gläubiger mitgeteilte IBAN-Nummer des Schuldners fälscht und der Gläubiger den geschuldeten Betrag daraufhin auf dieses falsche, nicht dem Schuldner gehörende Konto überweist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien hatten einen Vergleich geschlossen. Nach diesem Vergleich hatten die Beklagten der Klägerin 30.000 Euro zu überweisen. Den Vergleichstext übermittelte der Beklagtenvertreter per beA dem Klägervertreter; dabei war das Konto des Klägervertreters nur mit der korrekten IBAN angegeben. Der Klägervertreter unterzeichnete diesen Text und sandte ihn per Post dem Beklagtenvertreter zurück. Auf dem Weg dorthin wurde das Dokument verfälscht: Die IBAN wurde ausgetauscht und eine neue IBAN – eben die falsche – eingetragen. In Unkenntnis dieser Fälschung unterzeichnete der Beklagtenvertreter das übermittelte Dokument und schickte es ohne Hinweis auf etwaige Änderungen dem Klägervertreter zurück. In der Folgezeit überwiesen die Beklagten den Vergleichsbetrag auf das im Vergleichstext angeführte Konto mit der falschen IBAN. Dort „verschwand“ es.
Die Klägerin verlangt nun von den Beklagten Zahlung des Vergleichsbetrages. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Der BGH hat das bestätigt:
Durch die Zahlung der Beklagten sei Erfüllung nicht eingetreten, weil sie sich mit der Klägerin nicht auf das falsche IBAN-Konto geeinigt hätten. Die Beklagten hätten bei vernünftiger Beurteilung aller ihnen erkennbarer Umstände nicht annehmen können, allein in der Angabe einer bestimmten Kundenkennung (IBAN) liege eine Ermächtigung der Klägerin, an den – nicht angegebenen – Inhaber des Kontos schuldbefreiend zu leisten. Mangels Erfüllung seien die Beklagten nach den allgemeinen Gefahrtragungsregelungen weiterhin zur Leistung an die Klägerin verpflichtet. Nach der Zweifelsregelung des § 270 Abs. 1 BGB obliege dem Schuldner bei Geldüberweisungen bis zur Erfüllung grundsätzlich das Verlustrisiko. Das gelte auch bei einer Überweisung. Die Vorschrift des § 270 Abs. 3 BGB führe zu keiner abweichenden Verteilung der Verlustgefahr. Sollte sich der Eingriff in dem Vergleichstext erst auf dem Postweg ereignet haben, hätte der Klägervertreter die Fälschung zwar verhindern können, wenn er das Dokument nicht auf dem Postweg, sondern – wie zuvor der Beklagtenvertreter – per beA übermittelt hätte. Hierzu sei er aber nicht verpflichtet gewesen, denn § 31a Abs. 6 BRAO normiere nur eine passive Nutzungspflicht. Eine Fälschung nach Übergabe in einer verschlossenen Postsendung an ein Postbeförderungsunternehmen stellte auch einen unwahrscheinlichen Kausalablauf dar. Die fehlende Überprüfung des von dem Beklagtenvertreter unterschriebenen Vergleichstextes nach der Rücksendung auf Übereinstimmung mit der vom Klägervertreter zuvor unterzeichneten Version rechtfertige keinen Übergang der Verlustgefahr, denn mit einer Fälschung der Kontoverbindung habe er nicht rechnen müssen. Eine Minderung des Anspruchs der Klägerin komme auch nicht in Betracht, denn § 270 Abs. 1 BGB regle gerade den zufälligen, mithin den von keiner Partei zu vertretenden Untergang.


C.
Kontext der Entscheidung
Gemäß § 270 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Geld im Zweifel auf seine Gefahr und seine Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln. Etwas anderes gilt nach § 270 Abs. 3 BGB nur, wenn sich infolge einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Änderung des Wohnsitzes des Gläubigers die Gefahr der Übermittlung erhöht; in diesem Fall hat der Gläubiger die Gefahr zu tragen. Gemäß § 675r Abs. 1 Satz 1 BGB sind die an einer Überweisung beteiligten Zahlungsdienstleister berechtigt, einen Zahlungsvorgang ausschließlich anhand der von dem Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenkennung (IBAN) auszuführen; nur wenn die vom Zahler angegebene IBAN erkennbar keinem Zahlungsempfänger oder keinem Zahlungskonto zuzuordnen ist, ist der Zahlungsdienstleister des Zahlers nach § 675r Abs. 3 BGB verpflichtet, den Zahler unverzüglich hierüber zu unterrichten und ihm ggf. den Zahlungsbetrag wieder herauszugeben. Zivilrechtlich (vgl. aber unten E.) können damit Fälschungen der hier in Rede stehenden Art zum Erfolg führen: Die Zahlungsdienstleister sind danach nicht verpflichtet, die angegebene IBAN daraufhin zu überprüfen, ob sie dem angegebenen Zahlungsempfänger auch zugeordnet ist. Zwar betrifft § 675r BGB bei einer Überweisung nur das Verhältnis zwischen dem Überweisungsauftraggeber und den Banken. Im Verhältnis zwischen Zahlungsschuldner und Zahlungsgläubiger wirft die Regelung aber die Frage auf, ob sich der Schuldner auf sie berufen kann oder nicht, wenn er auf diese Weise als Opfer einer Fälschung des Vertragstextes auf eine falsche IBAN überweist.
Hierzu stellt der BGH klar, dass allein die Angabe einer bestimmten IBAN in einem Vertragstext jedenfalls dann keine Ermächtigung beinhaltet, auf dieses Konto zu zahlen, wenn sein Inhaber ein (gar unbekannter) Dritter ist, und der Schuldner den Gläubiger nicht ermächtigt hat, an diesen Dritten zu zahlen. Denn die Leistung an einen nichtberechtigten Dritten erlangt nur dann schuldbefreiende Wirkung, wenn der Gläubiger sie nachträglich genehmigt, einer der beiden anderen Fälle des § 185 Abs. 2 Satz 1 BGB (Erwerb des Gegenstandes oder Beerbung des Berechtigten) eintritt oder der nichtempfangsbefugte Dritte die Leistung entsprechend den Weisungen des Schuldners an den Gläubiger weiterleitet (BGH, Urt. v. 14.02.2023 - XI ZR 537/21 - WM 2023, 506, 508). Damit könnte dem Schuldner nur helfen, wenn der Gläubiger das Fälschungsrisiko trüge. Das ist aber nicht der Fall: In der Rechtsprechung des BGH ist geklärt, dass § 270 Abs. 1 BGB auch bei Überweisungen dem Schuldner das Verlustrisiko zuweist, selbst wenn die Überweisung als Zahlungsweg im Vertrag für den Schuldner bindend vorgeschrieben ist (BGH, Urt. v. 21.12.1981 - II ZR 270/79 - WM 1982, 291, 293; BGH, Urt. v. 15.05.1952 - IV ZR 157/51 - BGHZ 6, 121, 122).
Im Schadensersatzrecht sind dem Schädiger nicht sämtliche äquivalent kausale Verhaltensweisen des Gläubigers zuzurechnen; so muss er nicht für Schadensfolgen aufkommen, wenn die durch das Verhalten des Geschädigten geschaffene Gefahrerhöhung auf einem gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf beruht (vgl. dazu aber BGH, Urt. v. 16.04.2002 - VI ZR 227/01 - VersR 2002, 773). Diese schadensrechtlichen Billigkeitserwägungen wendet der BGH auch auf § 270 Abs. 3 BGB an: Die dort normierte Abweichung von der Grundregel des § 270 Abs. 1 BGB beruht ja ebenfalls auf Billigkeitsgesichtspunkten.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Wird in einem Vertragstext die Zahlung auf eine bestimmte IBAN vereinbart und geht aus dem Vertragstext nicht hervor, dass diese IBAN nicht dem Gläubiger bzw. dessen Vertreter zugeordnet ist, bleibt es bei der Verpflichtung des Schuldners, an den wahren Gläubiger zu zahlen. Wird die IBAN nachträglich verfälscht und zahlt der Schuldner an die falsche IBAN, trägt er nach § 270 Abs. 1 BGB das Fälschungsrisiko; seine Zahlung hat keine Erfüllungswirkung.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In Zukunft sollten sich solche Fälle weitaus seltener ereignen können. Denn nach Art. 5c der EU-VO 260/2017 in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 der EU-VO 886/2024 muss der Zahlungsdienstleister des Zahlers – also die Bank des Überweisungsauftraggebers – ein Verfahren anbieten, in dem die IBAN und der angegebene Name des Zahlungsempfängers überprüft werden. Ein Verstoß lässt die Überweisungsbank haften; § 675r BGB wird damit weitgehend bedeutungslos. Diese seit dem 09.10.2025 in Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, geltende Regelung sollte Fälle wie den vorliegenden in Zukunft ausschließen: Die Fälschung der IBAN verhilft dem Betrüger nämlich nur dann noch zum Erfolg, wenn der Überweisende die Zahlung trotz fehlender Zuordnung der angegebenen IBAN zu dem Gläubiger oder dem vereinbarten Zahlungsempfänger autorisiert. Ansonsten muss der Fälscher nicht nur die Angabe der IBAN fälschen, sondern auch die des Kontoinhabers: Und dann wird es auffällig.



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