I. Hintergrund
Am 25.06.2025 hat das Bundesjustizministerium einen weiteren Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform vorgestellt.1 Zuvor hatte es 2024/2025 schon einmal einen entsprechenden Referentenentwurf mit nachfolgendem Regierungsentwurf gegeben.2 Jenes Gesetzgebungsverfahren konnte aber in der 20. Legislaturperiode (2021 bis 2025) nicht mehr zum Abschluss gebracht worden und fiel somit der Diskontinuität anheim. Schon der Koalitionsvertrag 2021 der Ampelregierung hatte auf S. 24 davon gesprochen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften, verbessert werden sollen.3 Im Koalitionsvertrag 2025 der Großen Koalition heißt es auf S. 88 nun ebenfalls, dass das Recht der Genossenschaften modernisiert werden soll.4 Das Recht der Genossenschaften meint dabei im Wesentlichen das Genossenschaftsgesetz (GenG), welches zuletzt 2006 umfangreich novelliert wurde.5
II. Maßgeblicher Inhalt des Referentenentwurfs
Ziele der jetzigen Novelle sind eine grundlegende Modernisierung durch Anpassung des GenG an die fortschreitende Digitalisierung, eine Attraktivierung der Rechtsform durch einfachere Gründung und einzelne gesetzliche Klarstellungen sowie die Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung (Stichwort: unseriöse Genossenschaften). Insoweit wird nahezu unverändert an die Entwürfe aus der 20. Legislaturperiode angeknüpft.
Die vorgenannten Ziele sollen dabei im Wesentlichen wie folgt erreicht werden:
1. Digitalisierung
Über die bereits im 4. Bürokratieentlastungsgesetz vom 29.10.20246 enthaltenen Einzelregelungen zum Übergang auch im GenG von Schriftform zu Textform hinaus soll nun auch im Übrigen (mit Ausnahme der beizubehaltenden Schriftform bei Prüfungsberichten nach § 58 GenG und hinsichtlich eines Ausschlusses von Mitgliedern nach § 68 GenG) einheitlich die Textform im GenG verankert werden, und es sollen digitale Sitzungen und Beschlussfassungen sowie die digitale Informationsversorgung der Mitglieder ermöglicht werden.
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In einem neuen Absatz 5 von § 9 werden für Organsitzungen die Optionen Präsenzsitzung, virtuelle Sitzung, hybride Sitzung oder Sitzung im gestreckten Verfahren vorgesehen.
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Durch den neugefassten § 15 wird der digitale Beitritt ermöglicht, die Satzung der Genossenschaft kann aber den Vorbehalt des Beitritts in Schriftform enthalten.
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In § 43a erfolgt eine Klarstellung dahin gehend, dass digitale Vertreterwahlen möglich sind.
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Für hybride Versammlungen wird nach § 43b Abs. 4 Satz 3 die elektronische Abstimmung geregelt.
2. Attraktivierung der Rechtsform
Durch zahlreiche Einzelregelungen insbesondere klarstellenden Charakters soll die Rechtsform Genossenschaft übersichtlicher und damit attraktiver werden. Im Einzelnen geht es etwa um Folgendes:
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In § 1 Abs. 1 sollen nach dem Wort „Geschäftsbetrieb“ die Wörter „unmittelbar oder mittelbar“ eingefügt werden. Damit soll aus Gründen der Rechtssicherheit eine Klarstellung erfolgen. Ziel dessen sei die verbindliche Festlegung, dass keine direkte vertragliche Nutzungsbeziehung zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern erforderlich ist, somit eine mittelbare Förderung ausreicht.
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In § 1 wird ein neuer Absatz 3 angefügt, wonach die bloße gemeinschaftliche Vermögensanlage keinen zulässigen Förderzweck darstellt und die Vorratsgründung einer Genossenschaft nicht zulässig ist.
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In § 4 soll mit einem neuen Satz 2 klarstellend verankert werden, dass die Mindestmitgliederzahl aus drei natürlichen Personen besteht.
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In einem neuen § 4a wird erstmals eine Gründungsversammlung geregelt.
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Mit den neuen §§ 8a, 15c ff. sollen in Ergänzung zu § 8 detailliertere Regelungen zu investierenden Mitgliedern und ihrem Beitritt geschaffen werden.
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Durch eine Neufassung der §§ 10, 12 wird fortan die Genossenschaft selbst in das Register eingetragen, nicht mehr nur ihre Satzung.
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Der neugefasste § 21 Abs. 2 enthält erstmals Detailvorgaben zu Informationspflichten im Zusammenhang mit Mitgliederdarlehen.
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Der neue Absatz 4 von § 24 zum Genossenschaftsvorstand ist § 84 Abs. 3 AktG nachgebildet und enthält Details zum Ruhen der Tätigkeit aufgrund familiärer Sondersituationen (Mutterschutz, Pflege von Angehörigen, Krankheit etc.).
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Die Möglichkeit der Bindung des Vorstands an Weisungen der Generalversammlung wird auf Genossenschaften bis zu 1.500 Mitgliedern ausgedehnt (bislang: bis 20 Mitglieder).
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Das Einsichtsrecht Dritter in die Mitgliederliste nach § 31 wird aus Datenschutzgründen stärker beschränkt als bisher.
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Im Zusammenhang mit § 53 Abs. 2 Satz 1 werden die Schwellenwerte für die Befreiung von der Jahresabschlussprüfung angehoben (auf 2 Mio. Euro Bilanzsumme und 4 Mio. Umsatz).
3. Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung
Bei den Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften sollen die Vorschläge des Bundesrats aus dem ersten Gesetzgebungsverfahren (z.B. die Klarstellung, dass die bloße Kapitalanlage jedenfalls kein zulässiger Förderzweck ist) berücksichtigt und um weitere Vorschläge ergänzt werden.
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§ 11 zur Anmeldung wird neu gefasst: Insbesondere muss sich der jeweilige Prüfungsverband künftig zum Förderzweck äußern und dessen Zulässigkeit bewerten. Absatz 5 enthält die mögliche Vorgabe des Formats eines in der Praxis bislang indifferent gehandhabten Gründungsgutachtens qua Rechtsverordnung.
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Nach einem neugefassten § 11a Abs. 2 Satz 1 hat das Gericht die Eintragung künftig auch abzulehnen, sofern die Genossenschaft nicht beabsichtigt, einen zulässigen Förderzweck zu verfolgen.
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Durch den neuen Absatz 1 Satz 4 in § 54a wird klargestellt, dass die Generalversammlung über die Übertragung des Prüfungsrechts an einen anderen Prüfungsverband beschließt, so dass der Vorstand einer etwaig unseriösen Genossenschaft nicht ohne Weiteres zu einem genehmeren Prüfungsverband wechseln kann.
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In § 55 Abs. 2 wird verankert, dass im Zweifel die zuständige oberste Landesaufsichtsbehörde über Befangenheit auf Ebene des Prüfungsverbands entscheiden soll.
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Dem Prüfungsverband wird in § 60 Abs. 1 ein Einberufungsrecht (und womöglich auch eine dementsprechende Pflicht) für eine außerordentliche Generalversammlung zugestanden, sofern bei der Prüfung festgestellte Mängel eine erhebliche Gefährdung der Belange der Mitglieder besorgen lassen oder wenn die Genossenschaft einen unzulässigen Förderzweck verfolgt.
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In § 63a Abs. 1 erfolgt eine Klarstellung, wonach die zum Vorstand des Prüfungsverbands gehörigen Personen zuverlässig sein müssen.
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In einem neuen Satz 3 zu § 81 Abs. 1 wird geregelt, dass Prüfungsverbände der zuständigen obersten Landesaufsichtsbehörde Anhaltspunkte für eine Gemeinwohlgefährdung oder Förderzweckverfehlung mitzuteilen haben.
III. Bewertung
Auffallend ist am Referentenentwurf zunächst, dass vieles im GenG klargestellt werden soll, was eigentlich bereits recht klar ist. So ist die zentrale mittelbare Zweckförderung, die nun in § 1 Abs. 1 Erwähnung finden soll, schon seit langem anerkannt.7 Und auch ein neuer § 1 Abs. 3 stellt sich regelrecht als überflüssig dar, da dies bereits auch die Rechtsprechung8 so sieht. Dabei hat sich die derzeitige Bundesregierung im neuen Koalitionsvertrag9 gerade dem Bürokratieabbau und einer Gesetzesvereinfachung verschrieben. Rein klarstellende Normen oder Normbestandteile, die Gesetzestexte erweitern, stehen diesem Ziel aber erkennbar entgegen und sollten generell vermieden werden. Im Bemühen der Klarstellung unterlaufen zudem vermeidbare Fehler, etwa wenn im Zusammenhang mit § 4 fälschlich davon ausgegangen wird, dass die Mindestmitgliederzahl nur durch natürliche Personen erreicht werden kann.10 Oder aber wenn nun in § 4a zwischen Gründungsversammlung und erster Generalversammlung differenziert werden soll, obwohl eine Gründungsversammlung bereits immer auch eine erste Generalversammlung darstellt.
Positiv sind jedoch die Digitalisierungsansätze zu sehen. Dabei ist besonders zu begrüßen, dass es im Zusammenhang mit dem digitalen Beitritt per Mail oder App nunmehr (anders als im ersten Gesetzgebungsverfahren) eine satzungsrechtliche Öffnungsklausel gibt. Das Recht der Genossenschaften ist schließlich auch und vor allem das Recht der Kreditgenossenschaften, wo angesichts von bestehenden Volks- und Raiffeisenbanken mit Bilanzsummen von bis zu 20 Mrd. Euro und den damit verbundenen womöglich immensen Nachschusspflichten nach den §§ 22a, 105 GenG erhebliche Risiken für den Beitretenden bestehen, weshalb die Warn- und Übereilungsfunktion der Schriftform zumindest an dieser Stelle zwingend geboten erscheint. Im Übrigen sind digitale oder hybride Versammlungsformate im gesamten Gesellschaftsrecht mittlerweile Standard, so dass dies (anders als der Referentenentwurf meint) als nicht nur klarstellende, sondern grundlegend neu verankerte Regelung im GenG jedenfalls zu begrüßen ist. Wäre dem so, wie fälschlich angenommen (bloß klarstellender Charakter), hätte es zu Beginn der Corona-Pandemie gar nicht erst der Schaffung und temporären Geltung von § 3 Abs. 6 COVMG bedurft; digitale oder hybride Versammlungsformate wären seinerzeit dann ja auch ohne den Regelungsgehalt aus § 3 Abs. 6 COVMG zulässig gewesen.
Bezüglich der Bekämpfung unseriöser Genossenschaften ist festzustellen, dass insbesondere die Prüfungsverbände nun verstärkt in die Pflicht genommen werden. Die in diesem Zusammenhang ohnehin schon hohen Prüfkosten, welche den Genossenschaften durch dieses spezifische Prüfsystem im Genossenschaftswesen auferlegt werden, dürften damit weiter steigen.11 Dass es unseriöse Genossenschaften12 vor allem im Bereich der Kapitalanlage gibt, steht dabei außer Frage. Fraglich ist jedoch, ob sich ein deutlich erhöhter Kostenaufwand anlässlich wohl nur einzelner schwarzer Schafe wirklich lohnt.
IV. Ausblick
Insgesamt geht die Reform des Genossenschaftsrechts in die richtige Richtung. Ein großer Wurf und eine systemische Neuordnung sind allerdings nicht erkennbar. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens könnte der Entwurf an zahlreichen Stellen noch verschlankt, an anderen zudem inhaltlich optimiert werden. Beispielsweise müsste die vorgesehene Regelung des Inkrafttretens am Tag der Verkündung in Art. 7 des Referentenentwurfs noch mit der Neufassung von § 11 harmonisiert werden, da die Prüfungsverbände erkennbar einen gewissen Vorlauf benötigen, um ihre Prüfungsleitlinien für die Gründungsprüfung entsprechend anzupassen.