juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 15.02.2023 - IV ZR 312/21
Autor:Joachim Cornelius-Winkler, RA und FA für Versicherungsrecht, Lehrbeauftragter
Erscheinungsdatum:19.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 14 VVG, § 115 VVG
Fundstelle:jurisPR-VersR 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Cornelius-Winkler, jurisPR-VersR 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rechtsschutz für Geltendmachung eines Direktanspruchs gegen Berufshaftpflichtversicherer



Leitsatz

Bei der Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers eines Schädigers gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG handelt es sich dann um einen Anwendungsfall des Schadenersatz-Rechtsschutzes nach § 2 lit. a (der hier vereinbarten) ARB, wenn die Inanspruchnahme des Schädigers auf einem Anspruch aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung beruht.



A.
Problemstellung
In der Entscheidung geht es um die Frage, ob Ansprüche aus Prospekthaftung dem Schadensersatz- oder dem Vertragsrechtsschutz zuzuordnen sind und um die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalls.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger (Versicherungsnehmer) unterhielt bei dem beklagten Versicherer zwischen 1992 und Juni 2019 einen nicht näher bezeichneten Rechtsschutzvertrag (zuletzt) nach den NRV Plus ARB 2005, die inhaltlich nach den im Urteil abgedruckten Klauseln den ARB 2000 ff. GDV entsprechen. 2014 tätigte der Versicherungsnehmer eine Kapitalanlage in Gold bei einer Stiftung, wozu er durch falsche Prospektangaben einer Rechtsanwalts-GmbH als Garantin veranlasst worden war. Die Anwalts-GmbH geriet 2015 in die Insolvenz, und der Versicherungsnehmer machte im Dezember 2018 gegen deren Berufshaftpflichtversicherung Ansprüche nach § 115 VVG geltend, wofür er den beklagten Rechtsschutzversicherer im Mai 2019 um eine Rechtsschutzzusage bat. Der Versicherer teilte daraufhin mit Schreiben vom Juli 2019 mit, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt seien und es mangels einer Ablehnung des Haftpflichtversicherers derzeit an einem Versicherungsfall fehle.
Amts- und Landgericht Mannheim wiesen als Vorinstanzen die Deckungsklage ab, weil es sich bei dem Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer nicht um einen Schadensersatzanspruch nach § 4 Abs. 1a ARB handle bzw. insoweit von einem eigenen (neuen) Rechtsschutzfall auszugehen sei, der aber wegen § 14 VVG (Fälligkeit der Versicherungsleistung) erst in einer noch nicht erfolgten Ablehnung des Anspruchs zu sehen sei, die zeitlich erst nach dem Ende des Rechtsschutzvertrages eintreten könne.
Der BGH hat der Revision stattgegeben.
Er beschäftigte sich zunächst mit der Frage, ob der Schadensersatz- oder der Vertragsrechtsschutz einschlägig seien. Nach seiner Auffassung verstehe der „durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer“ bzw. die Umgangssprache den in § 4a verwendeten Begriff des Schadensersatzes so, dass es sich um den Ausgleich eines eingetretenen Schadens im Wege der Wiederherstellung des Zustandes vor dem Schadensereignis handle. Wie sich bereits der Formulierung des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG entnehmen lasse, gehe es darum, dass der Versicherungsnehmer unter den dortigen Voraussetzungen seinen Anspruch auch gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen könne, so dass es sich um ein und denselben Schadensersatzanspruch (bzw. Versicherungsfall) handle, den der Versicherungsnehmer bereits gegen die Rechtsanwalts-GmbH geltend gemacht habe und der entsprechend bereits 2014 mit dem Vorwurf eines Prospektfehlers eingetreten sei.
Soweit der Schadensersatzrechtsschutz sich nach § 4a nicht auf Ansprüche beziehen solle, die „auch auf einer Vertragsverletzung“ beruhten, handle es sich hierbei nicht um einen feststehenden Begriff der Rechtssprache und käme als Vertragspartner aus Sicht des Versicherungsnehmers jedenfalls nur die Stiftung und nicht die Rechtsanwalts-GmbH in Betracht. Unabhängig hiervon werde der Versicherungsnehmer von einheitlichen Voraussetzungen ausgehen, unter denen der Versicherer Kostenschutz zu übernehmen habe, und auch deshalb die Sache § 2a zuordnen.
Ob sich die Entscheidung der Vorinstanzen aus anderen Gründen, namentlich wegen der behaupteten fehlenden Erfolgsaussichten, als richtig erweise, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, so dass er die Sache zurückverwies. Dies allerdings nicht, ohne auf die formalen Voraussetzungen einer solchen Ablehnung zu verweisen, also darauf, dass eine solche Ablehnung unverzüglich und unter Hinweis vorliegend wohl auf das Stichentscheidsverfahren hätte erfolgen müssen.


C.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung ist zunächst für alle Fälle relevant, in denen ein Versicherungsnehmer Ansprüche nach einer Insolvenz des Anspruchsgegners gemäß § 115 VVG gegen dessen Haftpflichtversicherer geltend machen möchte. Inhaltlich und zeitlich bestimmt sich die Eintrittspflicht dann nach dem Vorwurf gegen den in die Insolvenz gegangenen Anspruchsgegner und nicht nach dem Verhalten des Haftpflichtversicherers. Diese Schlussfolgerung des BGH müsste auch auf Zustimmung der Versicherungswirtschaft stoßen, weil damit keine sog. Zweckabschlüsse in Erwartung einer Insolvenz des Anspruchsgegners möglich sind. Noch nicht abschließend beurteilen lassen sich die Auswirkungen bezüglich einer jetzt wohl doch wieder möglichen Anspruchskonkurrenz zwischen dem Schadensersatz- und dem Vertragsrechtsschutz. Glaubte man, diese Streitfrage mit den ARB 2000 bzw. der Einfügung des Wortes „auch“ als erledigt betrachten zu können (vgl. Harbauer/Obarowski, Rechtschutzversicherung, 9. Aufl. § 2 ARB 2010 Rn. 50; Harbauer/Cornelius-Winkler, Rechtsschutzversicherung, vor § 21 ARB 75 Rn. 2), ist wegen der vom BGH wohl angenommenen Intransparenz des Begriffs „Vertragsverletzung“ möglicherweise eine neue Betrachtung angezeigt. Inhaltlich wirkt sich dies aber nur bei Firmenrechtsschutzverträgen aus, die keinen „allgemeinen Vertragsrechtsschutz“ enthalten, und dann, wenn es um Schadensersatzansprüche geht (wie z.B. bei einen behaupteten Eingehungsbetrug). Die zweite Folge beträfe die zeitliche Bestimmung des Versicherungsfalls, weil der Schadensersatzrechtsschutz keine Wartezeit kennt. Durch die Verwendung des Begriffs „jedenfalls“ hat sich der BGH hier aber wohl noch eine Hintertür offengehalten und dem Urteil bezüglich dieser Rechtsfrage auch keinen Leitsatz vorangestellt.



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