juris PraxisReporte

Anmerkung zu:VGH München 11. Senat, Urteil vom 18.01.2023 - 11 B 22.1153
Autor:Dr. Dietmar Zwerger, Vors. RiVG
Erscheinungsdatum:24.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 14 FeV, § 11 FeV, § 24a StVG, § 29 StVG, § 28 StVG
Fundstelle:jurisPR-VerkR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht
Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht
Zitiervorschlag:Zwerger, jurisPR-VerkR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis bei vorangegangener Entziehung wegen Nichtbeibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens



Orientierungssätze

1. Der durch § 11 Abs. 8 FeV erlaubte Schluss auf die Nichteignung, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, bedeutet zugleich, dass im Neuerteilungsverfahren ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden darf (BVerwG, Urt. v. 21.03.2013 - 3 C 6/12; Abgrenzung zur älteren Senatsrechtsprechung: VGH München, Urt. v. 02.12.2011 - 11 B 11.246).
2. Der Rückgriff auf eine bestandskräftige Entziehungsentscheidung stellt auch dann keinen mittelbaren Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG a.F. dar, weil der im Fahreignungsregister gespeicherten Entziehung teilweise derselbe Sachverhalt zu Grunde lag, wie der nicht mehr gespeicherten Ordnungswidrigkeit wegen der Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1976 - VII C 28.74?).



A.
Problemstellung
Darf der in das Fahreignungsregister einzutragende Entzug einer Fahrerlaubnis auch dann noch verwertet werden, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen mit einem Bußgeld geahndet wurden, dessen Verhängung zwar ebenfalls in das Fahreignungsregister eingetragen wurde, aber mittlerweile wieder gelöscht ist?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
1. Nach einer Fahrt unter Cannabiseinfluss im Jahr 2008 wurde gegen den Betroffenen ein Bußgeld nach § 24a StVG verhängt. Die festgestellten Cannabiswerte (THC: 22 ng/ml, THC-COOH: 170 ng/ml) belegten einen regelmäßigen Cannabiskonsum. Die Straßenverkehrsbehörde gab dem Kläger auf, einen Abstinenzzeitraum von einem Jahr nachzuweisen, da er angab, keine Drogen mehr zu konsumieren. Nach Vorlage der Nachweise forderte die Behörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die wiedergewonnene Fahreignung. Nachdem der Betroffene kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Verkehrsbehörde mit bestandskräftigem Bescheid vom 01.08.2011 die Fahrerlaubnis.
Im Jahr 2019 beantragte der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Die Behörde forderte von ihm – gestützt auf den bestandskräftigen Entzug aus dem Jahr 2011 aufgrund des regelmäßigen Cannabiskonsums – die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Nachdem dieses nicht vorgelegt wurde, lehnte die Behörde den Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 17.01.2020 ab.
2. Das Verwaltungsgericht hob den Ablehnungsbescheid auf und verpflichtete die Behörde zur Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis. Die Eintragung der Ordnungswidrigkeit im Fahreignungsregister (früher: Verkehrszentralregister) sei nach fünf Jahren zu tilgen gewesen und auch so erfolgt. Der Sachverhalt dürfe einem Betroffenen nicht so lange vorgehalten werden, wie der Entzug der Fahrerlaubnis nach dessen Eintrag im Fahreignungsregister verwertbar sei.
3. Der VGH München hat mit Urteil vom 18.01.2023 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis abgewiesen. Der in das Fahreignungsregister eingetragene Entzug der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 01.08.2011 (da der Kläger seinerzeit kein Fahreignungsgutachten beigebracht hatte), sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch verwertbar. Die einer Entziehung der Fahrerlaubnis zugrunde liegenden Tatsachen könnten so lange vorgehalten werden, wie die Entziehungsentscheidung verwertbar sei.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Die Versagung der Fahrerlaubnis beruhte auf den nicht ausgeräumten Eignungszweifeln aufgrund des früheren regelmäßigen Cannabiskonsums im Jahr 2008. Da der Kläger seinerzeit der Forderung nach Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen war, wurde ihm im Jahr 2011 die Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen. Diesen bestandskräftigen Entzug nahm die Behörde im Jahr 2019 zum Anlass, vom Kläger die erneute Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens beim Antrag auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis zu fordern. Dazu war sie nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV verpflichtet („Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist … anzuordnen, wenn 1. die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war, …“). Der Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Fahreignung nach regelmäßigem Cannabiskonsum bestand fort. Der Beibringungsaufforderung ist der Kläger nicht nachgekommen, weshalb die Behörde zu Recht auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisbewerbers schließen durfte (§ 11 Abs. 8 FeV).
2. Kernpunkt des Urteils ist, ob der regelmäßige Cannabiskonsum aus dem Jahr 2008 im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Fahrerlaubnis) noch verwertbar war. Denn gelöschte Eintragungen des Fahreignungsregisters dürfen nicht mehr zur Beurteilung der Fahreignung verwendet werden (§§ 29 Abs. 7 Satz 1, 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG).
a) Die Verhängung einer Geldbuße und eines Fahrverbots im Rahmen der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit durch das Amtsgericht am 22.10.2009 nach § 24a StVG (hier: Fahrt unter Wirkung von Cannabis) ist in das Fahreignungsregister (bis 30.04.2014: Verkehrszentralregister) einzutragen (§ 28 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a StVG). Die Tilgungsfrist für diese Eintragung beträgt fünf Jahre ab Rechtskraft der Bußgeldentscheidung (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 4 Nr. 3 StVG).
b) Der bestandskräftige Entzug der Fahrerlaubnis durch die Straßenverkehrsbehörde ist ebenfalls in das Fahreignungsregister einzutragen (§ 28 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. b StVG). Die Tilgungsfrist für diese Eintragung beträgt aber zehn Jahre (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b StVG). Diese Frist beginnt fünf Jahre nach Rechtskraft der Entzugsentscheidung (§ 29 Abs. 5 Satz 1 StVG). Im konkreten Fall begann diese Frist fünf Jahre nach Bestandskraft der Entzugsentscheidung (06.09.2011) zu laufen (06.09.2016) und endete zehn Jahre danach (06.09.2026). Die Entzugsentscheidung war daher im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts verwertbar.
c) Maßgeblich für die Forderung nach einem Fahreignungsgutachten im Jahr 2019 waren die Umstände, die dem Entzug im Jahr 2011 zugrunde lagen. Das war der regelmäßige Cannabiskonsum. Demgegenüber waren die Umstände, die die Eintragung der Ordnungswidrigkeit und des Bußgeldes auslösten, die bloße Teilnahme am Straßenverkehr unter Wirkung von Cannabis. Der VGH München verweist auch auf die gesetzgeberische Wertung, dass mit den deutlich unterschiedlichen Tilgungsfristen für Eintragungen über Ordnungswidrigkeiten einerseits und behördlichen Entziehungsentscheidungen andererseits den behördlichen Entscheidungen ein deutlich höheres Gewicht hinsichtlich der Beurteilung der Fahreignung zugemessen werde.
d) Schließlich verweist der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass diese Rechtsauffassung durch die Änderung des § 29 Abs. 7 StVG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 12.07.2021 (BGBl, 3091) unterstrichen wird. Dem § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG wurde ein Satz 2 angefügt, nachdem eine Tat und die hierauf bezogene Entscheidung trotz ihrer Löschung aus dem Fahreignungsregister für die Durchführung anderer als in § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 4 StVG genannten Verfahren zur Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis – also insbesondere für die Durchführung eines Neuerteilungsverfahrens – verwendet werden, solange die Tat als Grundlage einer noch gespeicherten Maßnahme nach § 28 Abs. 3 Nr. 5, 6, oder 8 StVG genannt ist. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/28684, S. 52 f.) ist ausdrücklich angegeben, dass es sich bei dieser Neuregelung nur um eine Klarstellung handelt. Denn eine Tat, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, soll trotz des Ablaufs der Tilgungsfrist bei der Beurteilung der Fahreignung in einem (Wieder-)Erteilungsverfahren verwendet werden können. Voraussetzung ist, dass die seinerzeitige Tat in der Entziehungs- oder Versagungsentscheidung genannt ist und diese noch gespeichert, mithin auch verwertbar ist. Das war vorliegend gerade der Fall.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung löst das Spannungsverhältnis zwischen einer kürzeren Tilgungsfrist einer Ahndungsentscheidung einer Verkehrszuwiderhandlung gegenüber der längeren Tilgungsfrist einer auf dieser Tat aufbauenden Entziehungsentscheidung einer Fahrerlaubnis. Das Urteil führt daher zu einer erheblichen Klarstellung in der Praxis.



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