juris PraxisReporte

Autoren:Prof. Dr. Andreas Penner, RA,
Dr. Kyrill Makoski, RA und FA für Medizinrecht
Erscheinungsdatum:25.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 4 UStG 1980, § 12 UStG 1980, § 67 AO 1977, § 78 AMG 1976, § 129 SGB 5, § 129a SGB 5, § 176 AO 1977, § 133 BGB, § 157 BGB, § 155 BGB, § 300 SGB 5
Fundstelle:jurisPR-MedizinR 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Möller und Partner - Kanzlei für Medizinrecht
Zitiervorschlag:Penner/Makoski, jurisPR-MedizinR 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rückforderungsansprüche der Krankenkassen gegen Krankenhäuser wegen Umsatzsteuern auf Fertigarzneimittel - zugleich Anmerkung zu SG Duisburg v. 13.01.2023 - S 17 KR 2584/19

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Aus dem BMF-Schreiben vom 13.12.2022 (III C 3-S 7170/20/10001:001) folgen für Verträge auf der Grundlage des § 129a SGB V für Abgaben von Fertigarzneimitteln durch gemeinnützig getragene Krankenhäuser, soweit diese zum vollen Steuersatz abgegeben wurden, keine automatischen Erstattungsansprüche der Krankenkassen gegen Krankenhäuser (entgegen SG Duisburg und entsprechend BSG und SG Hannover).

2. Ein Vergleich über Umsatzsteuerrückforderungen, der anlässlich des BMF-Schreibens zu Zytostatika vom 28.09.2016 (III C 3-S 7170/11/10004) geschlossen wurde, erledigt Ansprüche anlässlich des BMF-Schreibens vom 13.12.2022, soweit der Vergleich sämtliche Arzneimittelabgaben einschließlich Fertigarzneimitteln erfasst hat (entgegen SG Duisburg und entsprechend SG Aachen).

A. Problemstellung

I. Sachverhalt

Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung sind Ansprüche aufgrund der ambulanten Abgabe von Arzneimitteln nach § 129a SGB V durch Krankenhausapotheken. Geltend gemacht wurden die Ansprüche von Krankenkassen gegen das Krankenhaus. Ausgangspunkt der Ansprüche sind Arzneimittelabgaben des Krankenhauses, bei deren Abrechnung das Krankenhaus kalkulatorisch in der Regel einen Umsatzsteuersatz i.H.v. 19% zugrunde gelegt hat. Die Krankenkassen erachteten dagegen einen Umsatzsteuersatz in der Regel i.H.v. 7% als zutreffend und forderten damit die Differenz, also 12% des kalkulatorischen Netto-Abrechnungspreises zurück.

Streitgegenständlich waren hier die Jahre 2009 bis einschließlich 2018, für die ein Betrag i.H.v. 326.767,02 Euro gefordert wurde. Diese Ansprüche wurden vom Krankenhaus teils anerkannt, teils wurden sie den Krankenkassen entgegen der Rechtsprechungsgrundsätze des BSG und entgegen einer nachfolgenden Entscheidung des SG Hannover vom 14.02.2023 (S 67 KR 1000/20 KH) sowie einer vorausgehenden Entscheidung des SG Aachen vom 31.08.2021 (S 13 KR 548/19) zugesprochen.

II. Rechtliche Problematik

Die korrekte Behandlung der streitgegenständlichen Ansprüche ist außergewöhnlich komplex. Diese Ansprüche sind mit einem – für das Leistungserbringungsrecht – atypischen Zusammenhang belastet. Dieser ergibt sich aus einer nachhaltig oszillierenden Interpretation des Umsatzsteuerrechts für die Abrechnung der Umsätze aus § 129a SGB V. Diese Interpretation, wie Umsätze zu qualifizieren sind, betrifft das Umsatzsteuerverhältnis des Krankenhausträgers der Apotheke zum Finanzamt und nicht unmittelbar das Abrechnungsverhältnis zur Krankenkasse. Indes kann sich diese Qualifikation auf den abzurechnenden Preis, jedenfalls aber die zugrunde liegende Besteuerung auswirken. Grob vereinfacht kann die Annahme von Umsatzsteuerpflicht mit dem vollen Steuersatz einen „hohen“ Preis bewirken, ein ermäßigter Umsatzsteuersatz einen „niedrigen“ Preis und – kontraintuitiv, indes höchstrichterlich bestätigt – Umsatzsteuerfreiheit ebenfalls in einem „hohen“ Preis, bestenfalls aber in einem leicht ermäßigten Preis. Etwas vereinfacht heißt das rechnerisch: Ein Nettoeinkaufspreis der Apotheke von 100 Euro entspricht 119 Euro Verkaufspreis an die Krankenkasse bei Umsatzsteuerpflicht mit dem vollen Steuersatz, 107 Euro bei ermäßigter Umsatzsteuer und – je nach Rechtsauffassung – 119 Euro oder (ca.) 117 bis 118 Euro bei Umsatzsteuerfreiheit.

Folglich wecken bereits mögliche Änderungen der Interpretation steuerlicher Qualifikation Begehrlichkeiten bei den Krankenkassen, soweit die Option eröffnet scheint, einen günstigeren Verkaufspreis zu erreichen. Das ist für die beiden wesentlichen Bestandteile der § 129a-Verträge der Fall, nämlich Fertigarzneimittel und sog. Zubereitungen („Zytostatika“), also für eine therapiegerechte Verwendung unter Berücksichtigung individueller Merkmale des jeweiligen Patienten hergestellte Rezepturarzneimittel.

Solchen Begehrlichkeiten aufgrund Interpretationsänderungen haben Zivilgerichte für den Fall der Privatabrechnung gegenüber Patienten in der Vergangenheit nachgegeben, soweit die Parteien gemeinsam über die umsatzsteuerliche Interpretation geirrt haben. Das BSG hatte demgegenüber eine wesentliche Beschränkung der Höhe der Erstattungen im Sommer 2022 gebilligt (BSG, Urt. v. 18.08.2022 - B 1 KR 30/21 R). Zuvor hatte es bereits die Erstattungen infolge etwaig möglicher Änderungen der umsatzsteuerlichen Qualifikation für Fertigarzneimittel versagt (BSG, Beschl. v. 10.11.2021 - B 1 KR 5/21 B). Demgegenüber hatte sich zwischenzeitlich aufgrund einer Änderung der Verwaltungsauffassung des Bundesfinanzministeriums zur Qualifikation von Fertigarzneimitteln mit Schreiben vom 13.12.2022 (III C 3-S 7170/20/10001:001) erneut die Frage gestellt, ob diese Änderung Ansprüche eröffnen könnte.

Hierzu hat das SG Duisburg am 13.01.2023 (S 17 KR 2584/19) entschieden und einen Anspruch der Krankenkasse bejaht. Zudem hat es sich mit der Frage befasst, inwieweit eine umfassende Verständigung der Parteien über Umsatzsteuerstreitigkeiten, die anlässlich des Streits über Zubereitungen erfolgte, einschränkend auszulegen sei und entgegen dem Wortlaut keine Einigung über Fertigarzneimittel enthält.

Aufgrund besonderer Umstände sowie prozessual und materiell unvollständiger Überlegungen dürfte dieses Urteil des SG Duisburg keine Bedeutung über das konkrete Verfahren hinaus haben. Wegweisend bleiben vielmehr die BSG-Entscheidungen vom 18.08.2022 (B 1 KR 30/21 R) sowie eine wenige Tage nach dem SG Duisburg getroffene Entscheidung des SG Hannover vom 14.02.2023 (S 67 KR 1000/20 KH). Das BSG hatte – im Rahmen einer ergänzenden Auslegung – unter Abstellen auf den Steuersatz für den Einkauf bei Umsatzsteuerfreiheit eine dem vollen Umsatzsteuersatz entsprechende Erhöhung um 19% auf den Listenpreis angenommen. Das Sozialgericht Hannover hatte sodann bereits unter Verneinung einer Regelungslücke das gleiche Ergebnis für Fertigarzneimittel begründet und zutreffend den Anspruch auf Erstattung trotz des BMF-Schreibens vom 13.12.2022 verneint. Für die Frage der Reichweite der Erledigung bleibt sodann das Urteil des SG Aachen vom 31.08.2021 (S 13 KR 548/19) maßgeblich, das zutreffend eine vollständige Erledigung bejaht hatte.

An diesen maßgeblichen Überlegungen geht das Urteil des SG Duisburg vorbei. Die jeweiligen rechtlichen Maßgaben und Problemlagen werden in dem Urteil überwiegend nicht erkannt bzw. es wird ohne Begründung abweichend von anerkannten Grundsätzen der Rechts- und Verfahrensordnung entschieden. Überzeugend und den rechtlichen Maßgaben entsprechend bleiben dementsprechend die vorgenannten Entscheidungen des BSG und der Sozialgerichte Aachen und Hannover.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der rechtliche Rahmen, in den die Entscheidung einzuordnen ist, ergibt sich aus dem Umsatzsteuerrecht und dessen Wechselwirkung mit häufig anzutreffenden Preisbildungsbestimmungen der Verträge nach § 129a SGB V:

I. Umsatzsteuerrecht

Für Leistungen nach § 129a SGB V stellt sich umsatzsteuerrechtlich regelmäßig die Frage, ob diese umsatzsteuerfrei i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1 UStG sind, wie dies für eine Vielzahl medizinischer Leistungen gilt, oder ob sie als umsatzsteuerpflichtig einzustufen sind und wenn ja, ob dann bei Abgaben in gemeinnützigen Einrichtungen der volle oder ermäßigte Steuersatz gilt, § 12 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG. Diese Qualifikation war lange in der Schwebe und die Qualifikationsfragen kommen seit dem Jahre 2007 nicht zur Ruhe. Vielmehr war die damalige Forderung nach Einstufung als umsatzsteuerpflichtig, der die Finanzverwaltung folgte, Auftakt für eine erste Streitwelle, die Arzneimittelzubereitungen betraf (sog. „Zytostatika“). Diese erste Streitwelle mündete in einer Reihe von Gerichtsentscheidungen, einer Anpassung des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE) und in einer Vielzahl außergerichtlicher Vergleiche (vgl. Wohlgemuth/Schiffner, GesR 2018, 558; Makoski/Clausen, ZMGR 2018, 231; Makoski, KrV 2019, 149; Penner, ZESAR 2017, 158 und Penner, ZESAR 2017, 207). Nach dem Höhepunkt der Streitigkeiten bezüglich Arzneimittelzubereitungen begann sodann eine weitere Streitwelle, die Fertigarzneimittel betraf und ebenfalls schon in höchstrichterlichen Entscheidungen und nun auch einer weiteren, jüngsten Änderung des UStAE mündete (vgl. Ritter, SB 2020, 72; Biehler/Büschen, ZMGR 2021, 336; Kissenkötter/Thoms-Meyer, UR 2022, 247; Clausen/Makoski, GesR 2022, 140).

Diese jüngste Änderung des UStAE weist Besonderheiten auf. In der ersten Änderung für die Zubereitungen war die Situation noch „einfach“. Es standen zwei Ergebnisse zur Wahl, nämlich Umsatzsteuerpflicht mit vollem Steuersatz oder Umsatzsteuerfreiheit. Dann wurde auf Umsatzsteuerfreiheit entschieden und von der Finanzverwaltung für die Vergangenheit ein Wahlrecht eingeräumt, ob auf die nunmehr als „richtig“ erkannte Umsatzsteuerfreiheit korrigiert wird oder eine bisherige, aber retrospektiv „falsche“ Einstufung als umsatzsteuerpflichtig zum vollen Steuersatz geduldet bleibt.

Diese Gestaltung gilt im Grundsatz nun auch für die Fertigarzneimittel. Diese wurden bisher als umsatzsteuerpflichtig behandelt, nunmehr gelten sie als umsatzsteuerfrei und für die Vergangenheit dürfte wieder vom Wahlrecht auszugehen sein. Das gilt allerdings nur für nicht gemeinnützige Träger. Für gemeinnützige Einrichtungen, also für Krankenhäuser i.S.d. § 67 AO, gibt es eine weitere Option für die Vergangenheit, nämlich die Besteuerung nach dem ermäßigten Steuersatz. Hintergrund ist, dass im Falle der Umsatzsteuerpflicht bestimmte Umsätze, die dem gemeinnützigen Zweck dienen, zur Förderung solcher Zwecke nur ermäßigt besteuert werden, damit der Nutzer diese Leistungen günstiger in Anspruch nehmen kann, wenn und soweit darin keine unzulässige Wettbewerbsverzerrung liegt. Hierbei trat die Besonderheit auf, dass für die Fertigarzneimittel ursprünglich nicht von einem ermäßigten Umsatzsteuersatz auszugehen war, wie das BSG festgestellt hatte (BSG, Beschl. v. 10.11.2021 - B 1 KR 5/21 B Rn. 8 und 13). Das gilt auch nach der neuen Erkenntnis der Umsatzsteuerfreiheit, weil diese Umsatzsteuerfreiheit der Ermäßigung vorgeht, sich also die Frage nach einer etwaigen Ermäßigung nicht stellt. Mithin müsste sich für gemeinnützige Träger die Option für die Vergangenheit auf Duldung des „falschen“ vollen Steuersatzes oder der „richtigen“ Anwendung der Umsatzsteuerfreiheit beschränken.

Indes ereignete sich ein Kuriosum, das darauf beruht, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) Informationen der Krankenkassen berücksichtigt hat, die man kritisch darauf überprüfen müsste, ob das BMF nicht Lobbying aufgesessen ist, das hier jedenfalls die Grenzen der Irreführung ausgelotet hat. Im Widerspruch zur höchstrichterlichen sozialgerichtlichen Erkenntnis wie auch der Praxis vieler Finanzämter wurde die Frage der Umsatzsteuerermäßigung daraufhin in einem vorerst unverbindlichen Schreiben vom 10.06.2022 ohne jede Auseinandersetzung mit der Problematik und der entgegenstehenden höchstrichterlichen Erkenntnisse der Kasseler Bundesrichter als positiv geklärt betrachtet. Die dabei zu klärenden nationalen und europarechtlichen Schranken bei der Einstufung der Umsätze als ermäßigt, welche das Gebot der Wettbewerbsneutralität des Umsatzsteuerrechtes offensichtlich verletzt, wurde nicht einmal gestreift. In diesem Punkt fehlt Rechtsprechung des BFH und des EuGH, so dass sich fragt, ob diese Interpretation einer gerichtlichen Überprüfung standhalten könnte. Folglich fehlte unter Umständen das notwendige Sensorium für die mit der Problematik verbundenen rechtlichen Fragen wie auch nicht präsent gewesen sein dürfte, welche Bedeutung solch ein Eingriff in laufende Streitigkeiten hatte. Es scheint dem BMF nicht bewusst gewesen zu sein, dass ein Krankenkassenverband ohne Not hunderte Klagen erhoben hatte und diesen Klagen ebenfalls untersuchungs- wie aufsichtsbedürftige Vorgänge zwischen Verband und der beratenden Anwaltskanzlei zugrunde lagen. Das Schreiben erging zudem zu einem Zeitpunkt, zudem bereits klar war, dass die Finanzverwaltung tatsächlich die Umsatzsteuerfreiheit als zutreffende Qualifikation ansah. Tatsächlich relativierte das BMF sodann auch seine Auskünfte mit einem weiteren unverbindlichen Schreiben vom 11.07.2022. Deswegen maßen die Sozialgerichte dem Schreiben des BMF vom 10.06.2022 zutreffenderweise keine Bedeutung bei und ließen erkennen, dass Klagen bzw. Rechtsmittel wegen Anspruchs auf ermäßigte Umsatzsteuer keine Erfolgsaussichten hatten (vgl. z.B. Hinweis des LSG Stuttgart im Verfahren L 5 KR 3090/21).

Diese Auffassung zur Umsatzsteuerfreiheit wurde gleichwohl für die Finanzverwaltung bindend mit dem einleitend erwähnten Schreiben des BMF vom 13.12.2022. Zugleich wurde die Auffassung der Umsatzsteuerermäßigung, die auf ein Urteil des FG Dessau-Roßlau vom 20.10.2021 (3 K 1024/17) zurückgeht, bindend für die zukünftige Handhabung. Damit kommt es für gemeinnützige Träger zu der Besonderheit, dass neben der „richtigen“ Interpretation als umsatzsteuerfrei, die in der Vergangenheit durchaus übliche, aber nunmehr „falsche“ Einstufung mit dem vollen Steuersatz als geduldet tritt und die ebenso „falsche“ Einstufung als ermäßigt hinzukommt, die indes ihre Existenz einer rückwirkenden Fiktion eines Inhaltes der UStAE verdankt, den es nach zutreffender Auffassung des BSG nie gegeben hat.

II. Leistungserbringungsrecht

1. Kalkulatorische Relevanz der Umsatzsteuer: Verkaufs- oder Einkaufsseite?

Diese Änderungen in der Anwendung des Umsatzsteuerrechtes können auf das Leistungserbringungsrecht durchschlagen. Grund dafür ist die Preisbildungssystematik, die den Verträgen häufig zugrunde liegt. Diese beruht darauf, dass in den Verträgen regelmäßig keine absoluten Endpreise verhandelt werden, sondern eine dynamische Anknüpfung an „Listenpreise“ i.S.d. § 78 Abs. 3 AMG erfolgt. Das ist an sich sinnvoll, um nicht bei jeder Änderung dieser Preise neue Preisvereinbarungen verhandeln zu müssen. Diese Listenpreise sind zwar nicht zwingend die Preise, zu denen die Krankenhausapotheke einkauft. Insoweit können die Apotheken niedriger abschließen. Das ist aber ebenfalls sinnvoll, um ein wettbewerbliches Element um günstigere Einkaufskonditionen zu ermöglichen. Von diesem wettbewerblichen Element profitieren Krankenkassen und Krankenhäuser. Krankenhäuser profitieren, weil es ihnen einen wirtschaftlichen Anreiz belässt, um von besseren Einkaufskonditionen zu profitieren und Krankenkassen, weil sich dann langfristig deren Kosten durch die Vereinbarung von Abschlägen auf die Listenpreise mindern (vgl. zur entsprechenden Auskunftspflicht die §§ 129 Abs. 5c Satz 8 und 12, 129a Satz 4 SGB V). Die Listenpreise sind damit ein Indikator für Preisentwicklungen, die Ersparnissen für Krankenkassen den Weg bereiten und den Einkaufswettbewerb am Leben erhalten, weil Krankenhäusern von günstigeren effektiven Einkaufspreisen profitieren.

In der Konsequenz dieser sinnvollen Systematik bedarf es kalkulatorischer Elemente, wie der Endpreis gegenüber den Krankenkassen bestimmt wird. Typischerweise werden dazu der Netto-Listenpreis exklusive Umsatzsteueranteil, ein spezifischer Abschlag je nach Medikamentengruppe, eine Pauschale für den Aufwand bei Zubereitungen (sog. Arbeitspreis) und ein Zuschlag für die Umsatzsteuer vorgesehen. Dieser Zuschlag für die Umsatzsteuer hat zwei denkbare Funktionen. Der Zuschlag kann den Anteil an Umsatzsteuer repräsentieren, der auf die Abgabe der Leistung an Versicherte der Krankenkasse fällig ist. Der Zuschlag kann aber auch den Anteil an Umsatzsteuer repräsentieren, der vom Pharmaunternehmen oder dem Pharmagroßhändler mit in Rechnung gestellt wurde, da eben dieser Anteil vom Krankenhaus durch den Einkaufspreis zu finanzieren ist. Tatsächlich entscheidend ist die letztgenannte Funktion. Das beruht auf dem Umstand, dass die Besteuerung gegenüber der Krankenkasse, also im „Verkauf“, und die Besteuerung gegenüber dem Pharmahandel, also dem „Einkauf“, nicht identisch ist. Im Einkauf gilt stets der volle Umsatzsteuersatz, also aktuell 19%. Das gilt auch dann, wenn der Verkauf umsatzsteuerfrei erfolgt. Wird also z.B. zum Preis von netto 100 Euro eingekauft, müssen zusätzlich 19 Euro an den Pharmagroßhändler bezahlt werden, auch wenn die Abgabe an den GKV-Versicherten umsatzsteuerfrei ist. Um keinen Verlust zu machen, muss also auch bei einer umsatzsteuerfreien Abgabe für 119 Euro abgegeben werden. Würde die Abgabe für 100 Euro erfolgen, wäre das ein Verlustgeschäft von 19 Euro auf 100 Euro Nettoumsatz. Sodann kann es zwar vorkommen, dass der tatsächliche Einkaufspreis unter dem kalkulatorischen Listenpreis liegt. Dann ist auch die Steuerlast auf den Einkaufspreis niedriger. Hier setzt sich aber nur das Gesamtkalkül fort, nachdem aus Gründen der wettbewerblichen Funktion die Differenz zwischen tatsächlichem Einkaufspreis und Listenpreis beim Krankenhaus verbleibt. Die damit verbundene Differenz bei der Steuerlast auch beim Krankenhaus zu belassen, liegt damit folgerichtig in der Vertragslogik.

Das gilt selbst dann, wenn die Steuersätze im Einkauf und Verkauf voneinander abweichen. Denn auch hier geht es schlussendlich darum, den gleichen Anreiz wie bei der Möglichkeit der Unterschreitung des Listenpreises zu realisieren, nämlich die günstigste steuerliche Gestaltung umzusetzen. Um die damit verbundenen Risiken und Aufwendungen ebenso interessant zu machen wie die Bemühungen um verbesserte Einkaufskonditionen, verbleibt dann der wirtschaftliche Vorteil aus der Realisierung einer Anpassung der Besteuerung bei dem Krankenhaus und wird – wie im Fall nachhaltig niedriger Einkaufspreise – erst nach Verstetigung im Verhandlungswege weitergegeben. Ziel und Mittel sind hier identisch mit Ziel und Mitteln der Unterschreitung der Listenpreise.

Mithin scheint es nur so, dass die kalkulierten Umsatzsteueranteile an dem Steuersatz für den Verkauf anknüpfen. Tatsächlich ist das nicht so, weil die zugrunde liegende Prämisse, dass Verkaufssteuersatz und Einkaufssteuersatz einander entsprechen würden, nicht zutrifft. Wegen des „stabilen“ vollen Steuersatzes beim Einkauf kommt es auf dessen Refinanzierung an. Da sodann die Grundregel der Verträge Gewinne zwischen Listenpreis und tatsächlichem Einkaufspreis bei den Krankenhausapotheken belässt, gibt es keinen Anlass, wegen Änderungen im Verkaufssteuersatz in diese Grundregel einzugreifen. Wer welche Vorteile behält, ist Entscheidung der Parteien und Konsequenz von Verhandlungen. Wenn und soweit Änderungen der Steuersätze nicht absichtsvoll zu einer abweichenden Bestimmung dieses Verteilungsgrundsatzes führen – nämlich kurzfristige Vorteile beim Krankenhaus zwecks langfristiger Kostenvorteile bei den Krankenkassen –, ist jeder gerichtliche Eingriff darin ein Eingriff in die Vereinbarung des wirtschaftlichen Synallagmas und damit in die Angemessenheit von Vergütungsbestimmungen wie auch ein Eingriff in die Funktion der Wirtschaftlichkeit der Verträge. Das bedürfte einer besonderen Rechtfertigung, die indes regelhaft misslingen muss. Denn bei einer 1:1-Durchreichung von Vorteilen geht jedes Interesse an der Generierung von Vorteilen verloren. Das würde zur Steigerung der Arzneimittelkosten statt deren Senkung führen.

2. Vergleichsweise Regelungen der Vergangenheit

Die vorstehende Beleuchtung der kalkulatorischen Logik der Verträge ist von den Sozialgerichten zunehmend rezipiert und akzeptiert, zuerst für die Zubereitungen beim SG Speyer, Urt. v. 05.12.2019 - S 17 KR 689/16, dann beim LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 01.07.2021 - L 5 KR 22/20 und im Sommer beim BSG, Urt. v. 18.08.2022 - B 1 KR 30/21 R. Dort realisierte sich die Akzeptanz in der Annahme einer ergänzenden Vertragsauslegung, welche die Systematik der Pauschalisierung und die Verteilung von Vorteilen innerhalb des Vertragsgefüges zutreffend erkannte und in die ergänzende Vertragsauslegung einfließen ließ.

Für die Fertigarzneimittel hatte sodann das BSG mit Beschluss vom 10.11.2021 (B 1 KR 5/21 B) zuvorderst keinen Anspruch gesehen und das SG Hannover hat nun nach der Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses die Erkenntnisse aus dem Bereich der Zubereitungen konsequent auf die Bestimmungen für die Fertigarzneimittel übertragen (SG Hannover, Urt. v. 14.02.2023 - S 67 KR 1000/20 KH). Dabei flossen diese Erkenntnisse zwar nicht wie beim BSG bezüglich der Zubereitungen in eine ergänzende Vertragsauslegung ein, indes spiegeln sich die tragenden Gedanken in der Erkenntnis wider, dass es keiner ergänzenden Vertragsauslegung bedarf, sondern der Steuersatz aus dem Einkauf auf den Listenpreis aufzuschlagen bleibt.

Demgegenüber ging die Grundtendenz der Zivilgerichte dahin, dass steuerliche Vorteile durchaus an die Kassen weiterzugeben seien. Teils wurde sogar überschießend judiziert und die Reduktion um volle 19% verlangt, obgleich die 19% im Einkauf bestehen blieben. Namentlich in den Verfahren, die im Bereich der Privatabrechnung zum BGH gingen, ergab sich dann die Faustregel, dass – allerdings nur bei einem nachweisbaren übereinstimmenden Irrtum über die Besteuerung des Verkaufspreises – eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen sei, nach der 19% abzgl. der individuellen Vorsteuer zu erstatten seien (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 20.02.2019 - VIII ZR 7/18 Rn. 58 f). Anderes galt, wenn es keinen solchen übereinstimmenden Irrtum gab. Dann wurde ein Anspruch auf ergänzende Vertragsauslegung ausgeschlossen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.01.2020 - 13 U 632/19, bestätigt durch BGH, Beschl. v. 08.09.2020 - VIII ZR 80/20 durch Zurückweisung NZB).

In diese Richtung der BGH-Systematik gingen auch viele vergleichsweise Regelungen im Verhältnis zwischen Kostenträgern und Krankenhausapotheken zu Zubereitungen. Von dem, was vom Finanzamt an Erstattungen zu erreichen war, wurde ein mehr oder weniger großer Anteil an die Krankenkassen weitergeleitet, um dort angenommene Ansprüche abzugelten. Diese Vergleiche wurden in einer Phase abgeschlossen, in welcher eine Wandlung der Qualifikation der Fertigarzneimittel hin zu einer Ermäßigung nicht ausgeschlossen waren. Das gilt, gleich ob man eine Änderung in Richtung Umsatzsteuerfreiheit oder Ermäßigung (bei gemeinnützigen Trägern) in Betracht zog.

Folglich lag es für die Vertragsparteien auf der Hand, eine Kompletterledigung zu erreichen. Die rückwirkende Änderung von Veranlagungszeiträumen verschlang einen erheblichen Aufwand für Krankenhausapotheken, Finanzbuchhaltung, Geschäftsleitung, Wirtschaftsprüfung/Steuerberatung sowie für externe Unterstützung. Wenig geringer fällt der Aufwand auf Kostenträgerseite auf, wobei der Unterschied besteht, dass sich die Rückabwicklung für die Krankenhäuser wegen des geforderten vollständigen Durchreichens aus Sicht der Krankenhäuser als ausschließlich fremdnützig darstellte. Zugespitzt: Die Krankenkassen konnten ihren Aufwand decken und verdienten daran, die Krankenhäuser leiteten ausschließlich Geld weiter ohne Ausgleich für den Aufwand und machten Verluste. Tatsächlich liegt der Verwaltungsaufwand auch weit über dem, der angefallen wäre, hätte man von Beginn an gewusst, welcher Steuersatz nach fast einem Jahrzehnt von der Finanzverwaltung rückwirkend als zutreffend angenommen würde. Zugleich wurden die Margen in dieser Rückabwicklungssystematik sehr viel weiter reduziert als in einer entsprechenden Verhandlungssituation. Das lässt sich daran ablesen, wenn man die vereinbarten Quoten mit deutlich niedrigeren Quoten vergleicht, die später in Verträgen für die Berücksichtigung nach Änderung steuerlichen Qualifikation vereinbart wurden.

Folglich bestand ein großes Interesse, eine erneute Befassung mit Veranlagungszeiträumen, die schon einmal Gegenstand eines Vergleiches wurden, zu vermeiden. Denn schon zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt in den Jahren 2016 und 2017 konnte, wie ausgeführt, nicht ausgeschlossen werden, dass es weitere rückwirkende Änderungen geben könnte. Allein ist dem Vorbringen mancher Kostenträger zu widersprechen, dass es schon seit dem Jahr 2013 eindeutig war, dass Fertigarzneimittel bei gemeinnützigen Trägern ermäßigt zu versteuern seien. Diese Behauptung hat das BSG durch seinen Beschluss vom 10.11.2021 (B 1 KR 5/21 B) widerlegt. Ebenso unzutreffend ist indes die Annahme, dass man quasi „von nichts“ etwas gewusst habe oder habe wissen können, so dass sich Vergleiche unter keinen Umständen auf Fertigarzneimittel hätten beziehen können. Dem stehen schon zuvor ergangene Veröffentlichungen entgegen, die zwar keine Gewissheit, indes die Möglichkeit der Umsatzsteuerermäßigung bei Annahme einer grundsätzlichen Umsatzsteuerpflicht dargelegt hatten (vgl. z.B. Krieger/Penner, SGb 2015, 607, 609). Das führt zu der widersprüchlichen Haltung, dass es zwecks Begründung von Erstattungsansprüchen offensichtlich gewesen sei, dass Fertigarzneimittel ermäßigt zu besteuern seien, für die Abwehr der Erledigung von Vergleichen die gleiche Offensichtlichkeit indes zu verneinen sei.

Besonders kurios bleibt deswegen auch die zwischenzeitlich eingetretene Rechtslage, dass nach heutigem Stand der ermäßigte Steuersatz für Fertigarzneimittel für die Zukunft unzutreffend ist, indes rückwirkend für die Vergangenheit gebilligt wird (vgl.o. I). Insoweit bestätigt das Umsatzsteuerrecht im Bereich der Krankenhausapotheken Murphys Gesetz: „If there’s more than one possible outcome of a job or task, and one of those outcomes will result in disaster or an undesirable consequence, then somebody will do it that way.“

Mithin bestand jeder Anlass, im Rahmen von Vergleichen über Umsatzsteuerfragen, auch wenn sie anlässlich von Zubereitungen erfolgten, vollständige Erledigungen aller denkbaren wie undenkbaren Umsatzsteuerfragen zu erreichen. Dementsprechend wurden die Vereinbarungen zwecks vollständiger Erledigung getroffen, was einer der Autoren, der an den Verhandlungen und als Zeuge in dem Gerichtsverfahren vor dem SG Duisburg beteiligt war, aus eigener Anschauung bestätigen kann. Hierfür wurde den Krankenkassen, die hierzu bereit waren – was keineswegs für alle galt – höhere Erstattungen zugestanden als sie sich aus dem Bereich der Zubereitungen ergeben hätten. In diesen Fällen wurden von den Kostenträgern vorgeschlagene Gestaltungen, nach welchen ausdrücklich nur die Zubereitungen erfasst waren, verworfen und zwecks Erhöhung der Erstattung ein Vergleich formuliert, der ausdrücklich sämtliche Abgaben erfasste, also auch Fertigarzneimittel. Korrespondierend wurde für die Zeiträume, die nicht durch den Vergleich abgedeckt waren, umfassende Regelungen zur Bewältigung weiterer rückwirkender Änderungen von Umsatzsteuersätzen vereinbart, ebenfalls wieder explizit einschließlich von Fertigarzneimitteln. Insoweit griffen die Bestimmungen von Vergleich und Vertragsgestaltung für die Zukunft wie Schlüssel und Schloss ineinander.

III. Entscheidung des Sozialgerichtes

Kaum einer der vorstehenden, indes essenziellen Zusammenhänge, ist vom SG Duisburg erfasst worden:

1. Fertigarzneimittel

Im Hinblick auf die Problematik von Erstattungsansprüchen anlässlich des BMF-Schreibens vom 13.12.2022 (III C 3-S 7170/20/10001:001) erstreckte sich der in dem Gerichtsverfahren streitige Zeitraum von 2009 bis einschließlich 2018. Damit sind grundsätzlich wesentliche Zeiträume der im Verfahren strittigen regionalen § 129a-Vertragsverhältnisse erfasst, nämlich bis 2010, 2011 bis 01.04.2017, ab 01.04.2017 sowie spätestens ab 01.07.2017 mit offenem Umsatzsteuerausweis. Hinzu trat eine Überlagerung durch einen einheitlich ausgehandelten Vergleich, der den Zeitraum bis 01.04.2017 erfasste.

a) Für den Zeitraum 2009 bis 31.12.2016 war die umsatzsteuerliche Veranlagung für Fertigarzneimittel durch das beklagte Krankenhaus bereits geändert worden und die Erstattung vom Finanzamt an das Krankenhaus bereits erfolgt. Insoweit stellte sich die rechtserhebliche Problematik, ob ein Anspruch auf Änderung der steuerlichen Lage aus dem für diese Phase geltenden Verträgen abgeleitet werden kann, nicht. Es wäre jedoch darüber zu entscheiden gewesen, ob überhaupt ein Anspruch aus Vertragsergänzung folgen könnte. Dem steht die dargelegte Grundstruktur, dass Vorteile aus einer abweichenden steuerlichen Veranlagung dem Gewinnanteil des Krankenhauses zuzuschlagen sind, entgegen (vgl.o. unter II. 1). Dieses sich aufgrund des BSG-Urteils vom 18.08.2022 aufdrängende Verständnis (vgl. B 1 KR 30/21 R Rn. 47 und Rn. 51) wurde vom Gericht nicht erkannt. Insoweit ist auf das Urteil des SG Hannover vom 14.02.2023 (S 67 KR 1000/20 KH) zu verweisen, dass hier die zutreffenden Schlussfolgerungen zieht. Darüber hinaus wurde verkannt, dass ein Erstattungsanspruch trotz vollzogener Änderung der steuerlichen Veranlagung ausgeschlossen sein kann, weil ersichtlich Risiken einer erneuten Änderung der steuerlichen Veranlagung bestehen. Zu diesem Risiko finden sich keine Ausführungen, obgleich das BSG in ständiger Rechtsprechung Ansprüche nur dann in Betracht zieht, wenn diese einfach und risikolos durchsetzbar sind (BSG, Beschl. v. 10.11.2021 - B 1 KR 5/21 B Rn. 26). Zwar liegt hier nun eine Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses vor, indes fehlt es an der bestätigenden Rechtsprechung des BFH und des EuGH wie sie für Zytostatika vorlag, so dass zumindest zu beurteilen gewesen wäre, ob § 176 Abs. 2 AO einen ausreichenden Schutz gewährleistet.

b) Für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 01.04.2017 kam das Gericht sodann zu keinen abweichenden Erwägungen. Für diesen Zeitraum war zwar noch keine Erstattung erlangt worden, indes hatte der Beklagte selbst ausgeführt, eine solche Erstattung zu erwarten. Das genügte dem Gericht, ohne dass der Unterschied zwischen der Rechtslage nach erfolgter steuerlicher Änderung und des Anspruchs auf Änderung reflektiert wurde. Insoweit verkannte das Gericht die grundlegende Aussage des BSG, das die sozialrechtliche Lage akzessorisch an die steuerrechtliche Lage anknüpft (BSG, Urt. v. 09.04.2019 - B 1 KR 5/19 R Rn. 21 m.w.N.).

c) Für den Zeitraum ab 01.04.2017 war dem Grunde nach sodann nicht mehr zu entscheiden. Für diesen Zeitraum erfolgte ein Anerkenntnis der Beklagten. Insoweit war vom Gericht noch über die Zinsen zu urteilen. Hierbei schloss das Gericht indes alleine aus der bereits erfolgten Umstellung für Teile der Zeiträume, dass eine solche Umstellung für alle Zeiträume einfach und risikolos möglich sei. Insoweit verkannte das Gericht die spezifische Problematik fehlender Bestandskraft (vgl.o. unter a) und die Problematik offener Umsatzsteuerausweise, obgleich diese Problematik und die besonderen Voraussetzungen, die eine einfache und risikolose Rückabwicklung ausschließen, im einschlägigen BMF-Schreiben vom 13.12.2022 dezidiert angesprochen worden sind (vgl. dort Tz. III Abs. 3 Satz 1 i.V.m. BMF-Schreiben vom 28.09.2016 Tz. III i.V.m. Umsatzsteueranwendungserlass Abschn. 14c 1 Abs. 5 bis 7).

Damit verkannte das Sozialgericht seine Amtsermittlungspflichten. Es hat auch offensichtlich übersehen, dass die Erstattungen des Finanzamtes nicht ohne weiteres in materielle Bestandskraft erwachsen, sondern in den nicht bestandkräftigen Zeiträumen im Rahmen von Betriebsprüfungen die Erstattungen von den Finanzbehörden wieder rückabgewickelt werden können. Dieser Fall ist mit drastischen Liquiditätsrisiken infolge der Durchsetzungsverzögerungen gegenüber den Krankenkassen versehen (näher hierzu vgl.u. unter C. 1). Diese Umstände schließen eine einfache und risikolose Rückabwicklung aus, so dass die Voraussetzungen nach der BSG-Rechtsprechung nicht vorliegen.

Damit fehlt die Berücksichtigung gewichtiger Umstände, die sich aufgrund des BSG-Urteils vom 18.08.2022 (B 1 KR 30/21 R) und dem BMF-Schreiben vom 13.12.2022 (III C 3-S 7170/20/10001:001) aufdrängen.

2. Erledigungswirkung des Vergleiches

Bezüglich der Erledigungswirkung des Vergleiches stellt das Sozialgericht fest, dass nach den Regelungen zum Anwendungsbereich des Vergleiches und der Regelung zur Erledigung des Vergleiches Fertigarzneimittel erfasst sind. Folglich wäre ein Anspruch der Krankenkassen unabhängig von den vorstehenden Fragen bis einschließlich dem 01.04.2017 ausgeschlossen gewesen. Zudem bestätigte ein Zeuge auf Krankenkassenseite, wie im Protokoll der mündlichen Verhandlung festgehalten, dass die Vergleichsquote über anderen Vergleichen gelegen habe. Das wirtschaftliche „do-ut-des“, nämlich eine Erweiterung des Anwendungsbereiches gegen eine im Gegenzug erhöhte Quote, ist damit unstrittig.

Diesem nach den Auslegungskriterien der §§ 133, 157 BGB eindeutigen Ergebnis will das Sozialgericht die Regelungssystematik des Vergleiches entgegensetzen. Dazu wird auf die Präambel abgestellt, das den unstrittigen Anlass des Vergleiches schildert, nämlich die Entscheidung des BFH zu Zytostatika. Außerdem wird das Rubrum berücksichtigt, das eine Vergleichsvereinbarung über strittige Umsatzsteueranteile für die Abgabe von patientenindividuell hergestellten Zubereitungen ausweist. Weiterhin wird auf die Kalkulationsgrundlage des Anspruchs verwiesen, der auf Umsätze für Zubereitungen basierte, sowie auf Regelungen in Erledigungsklauseln aufmerksam gemacht, die sowohl Konstellationen der Umsatzsteuerfreiheit wie der Umsatzsteuerermäßigung enthalten. Schließlich wird behauptet, dass eine Erledigungswirkung des Vergleiches zu einer Quersubventionierung von privatnützigen Krankenhäusern, die von keinem Erstattungsanspruch bezüglich Fertigarzneimittel getroffen seien, zugunsten gemeinnütziger Krankenhäuser führe.

a) Diese Erwägung zur Quersubventionierung ist indes nicht nachvollziehbar. Zwischen privat- und gemeinnützigen Einrichtungen finden keine Zahlungsflüsse statt. Zudem führt das BMF-Schreiben bei privatnützigen Einrichtungen bezüglich Fertigarzneimitteln zu einer identischen Ausgangssituation wie durch das BMF-Schreiben aus 2016 (III C 3-S 7170/11/10004) für Zubereitungen, nämlich, dass unter Umständen ein Umsatz mit bisher vollem Steuersatz rückwirkend steuerbefreit veranlagt werden kann. Folglich sehen sich privat- wie gemeinnützige Einrichtungen nun Erstattungsforderungen ausgesetzt. Somit ist die Prämisse für das Quersubventionierungsargument unzutreffend. Alleine bleibt das Delta bei der potenziellen Erstattungshöhe, das bei 19% auf 0% niedriger ausfällt als bei 19% auf 12%. Dieses Delta ist aber Konsequenz der irregulären Schaffung einer Ermäßigungsfiktion im Duldungswege. Wie es dazu gekommen ist, mag gewiss zu denken geben, indes nicht auf Ebene von Vergleichsvereinbarungen, die zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurden, als zwar antizipiert werden konnte, dass es weitere Verwerfungen geben könnte, aber es nicht darauf ankam, konsensual jeglichen Verlauf differenziert abzubilden. Zum Vereinbarungszeitpunkt befanden sich die Parteien hinter dem Rawl‘schen Schleier des Nichtwissens und haben eine ausgewogene Regelung gefunden.

b) Auch sind die Argumente zur Kalkulationsgrundlage und Erledigungsregelungen nicht nachzuvollziehen. Das Gericht räumt für diese Argumente ein, dass die Kalkulationsgrundlage und die Erledigungsregelungen auch bei einem weiten Anwendungsbereich plausibel sind. Tatsächlich sind sie sogar nur bei einem weiten Anwendungsbereich plausibel, weil andernfalls die Erstattungsquote nicht zu erklären ist, wie auch nicht zu erklären ist, dass Klauseln zur Ermäßigung enthalten sind, die keinen Sinn ergeben, erfolgt eine Beschränkung auf die der Ermäßigung vorgehende Umsatzsteuerfreiheit. Diese Bestimmungen sprechen also für, nicht gegen den weiten Anwendungsbereich.

c) Die Argumente zum Rubrum verletzen sodann anerkannte Auslegungsgrundsätze. Das Rubrum schildert den Anlass des Vergleiches, die allein relevanten bindenden Bestimmungen sind hingegen die §§ 1, 2 und 5 des Vergleiches zum Anwendungsbereich und der Erledigungswirkung. Der Unterschied in der Normfunktion von bindenden Teilen und unverbindlichen Bestimmungen der Präambel wurde bereits verkannt. Selbst wenn auch die Präambelteile als bindend zu sehen wären, ist die Auslegungsgrundregel „lex specialis derogat leges generali“ zu berücksichtigen. Die spezielleren Teile haben danach Vorrang vor den allgemeinen Bestimmungen. Die dafür erforderliche Spezialität setzt voraus, dass die verdrängende Bestimmung sämtliche Merkmale der allgemeinen Bestimmung enthält und diesen noch ein besonderes Merkmal zur Bildung seines Tatbestandes hinzufügt (BGH, Urt. v. 12.04.1954 - GSZ 1/54 Rn. 17). So liegt der Fall hier, da die Bestimmungen zum Anwendungsbereich und der Erledigungswirkung Auskunft über Anwendung und Folgen geben, indes hierzu als besondere Merkmale den konkret erfassten Umfang der Abgaben bzw. die damit verbundene Erledigungsfolgen bestimmen. Diese Spezialität und deren Vorrang wird ohne Begründung negiert, indem das Gericht erlaubt, dass die allgemeinen und unspezifischen Regelungen den vom Gericht als eindeutig erkannten Wortlaut der spezielleren Bestimmungen zum Anwendungsbereich und zur Erledigung verdrängen. Darin liegt eine sogar revisible Verletzung von Auslegungsgrundsätzen.

d) Weiterhin hat das Gericht die Entstehungsgeschichte nicht gewürdigt. Geltend gemacht wurde, wie das Verhandlungsprotokoll ausweist, dass die streitbefangenen Krankenkassen den Krankenhäusern zuvor einen Vergleich mit einem engen Anwendungsbereich unter Beschränkungen auf Zubereitungen vorgeschlagen hatten. Diesem engen Anwendungsbereich wurde nicht gefolgt, sondern stattdessen die Klauseln zum weiten Anwendungsbereich vereinbart mit einer im Gegenzug erhöhten Quote. Zudem war noch vor Abschluss des Vergleiches eine neue vertragliche Regelung geschaffen worden, die auch für Fertigarzneimittel für die Zukunft Regelungen für den Fall der Umstellung auf Umsatzsteuerfreiheit wie auf Umsatzsteuerermäßigung vorsah. Damit sollten sowohl für die Zukunft – durch den neuen Vertrag – wie für die Vergangenheit sämtliche Konstellationen erfasst werden.

Die Historie belegt damit die vollständige Erledigung, was das Gericht nicht würdigt. Zwar war zeugenseitig ausweislich des Verhandlungsprotokolls von den Krankenkassen behauptet worden, dass der eigene Vergleich mit dem engen Anwendungsbereich nur ein „interner Entwurf“ gewesen sein könne. Allein trifft das nicht zu. Vielmehr ist der Vorschlag der Krankenkasse, der nicht zum Zuge kam, bundesweit versandt worden. Die Zuleitung an die Krankenhäuser war in Parallelverfahren von den Krankenkassen nie bestritten worden und in diesem Verfahren durch Zeugnis unter Beweis gestellt. Folglich wurde die Amtsermittlungspflicht ohne Begründung verletzt.

e) Angreifbar ist außerdem die Feststellung des Gerichtes, dass beide Seiten aus Ihrer Sicht glaubhaft von der vollständigen Erledigung (Krankenhausseite) bzw. eingeschränkten Erledigung (Krankenkassenseite) ausgehen konnten. Das ist für die Krankenkasse fragwürdig, weil diese nach dem Verhandlungsprotokoll einräumte, nach dem Vergleich Klagen, die Fertigarzneimittel zum Gegenstand hatten, zurückgenommen zu haben. Zudem hatte die Krankenkassenseite auch in diesem Verfahren vorgetragen, dass schon seit 2013 alle Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch bei Fertigarzneimitteln vorgelegen hätten. Wie zugleich bei einem auch vom Gericht eingeräumten unmissverständlich umfassend geregelten Anwendungsbereich der Vergleich trotz behaupteter Kenntnis von Erstattungsansprüchen für Fertigarzneimittel eben diese Erstattungsansprüche nicht umfasst sein sollen, ist unschlüssig. Es unterstellt, dass derjenige, der einen Anspruch kennt, der unter Anwendungsbereich und Erledigung einer Vereinbarung fällt, subjektiv überzeugt sein kann, dass der Anspruch nicht erfasst ist.

f) Schließlich missachtet das Sozialgericht einen weiteren Punkt der Rechtsgeschäftslehre. Denn das Gericht führt aus, dass beide Auffassungen – der enge wie der weite Anwendungsbereich – als Auslegungsergebnisse vertretbar seien. Zugleich wird insoweit folgerichtig dargelegt: „Die Kammer konnte sich nicht überzeugen, dass die für den Abschluss einer solchen Vereinbarung erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen vorgelegen haben.“

Dann wäre § 155 BGB einschlägig, der bestimmt:

„Haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde.“

Das ist die Regelung des versteckten Dissens. Dessen Voraussetzungen liegen vor, wenn eine Regelung uneindeutig ist – hier vom Gericht wegen der Vertretbarkeit beider Auffassungen bejaht – und tatsächlich beide Parteien von einer abweichenden Auslegung ausgingen – was hier vom Gericht ebenfalls bejaht wurde. Dann decken sich die Erklärungen der Parteien ihrem Inhalt nach nicht. Das ist die Bedingung eines versteckten Einigungsmangels (st. Rspr. BGH, Urt. v. 25.02.1999 - VII ZR 8/98 Rn. 7 m.w.N.; zu dieser Fallgruppe des Scheinkonsens wegen Mehrdeutigkeit vgl. auch Möslein in: BeckOGK, § 155 BGB Rn. 21). Dass sodann eine Einigung ohne die Bestimmung des Anwendungsbereiches erfolgt wäre, ist ausgeschlossen. Rechtsfolge ist gemäß § 155 BGB die Nichtigkeit. Diese würde dazu führen, dass die Krankenkassen sich keine Erledigung entgegenhalten lassen müssten, die Krankenhäuser indes die Überzahlungen aus dem Vergleich geltend machen könnten, da nach dem Stand der BSG-Rechtsprechung nicht mehr als 19% auf den Arbeitspreis an Erstattung geschuldet sein dürften. Das ist weit weniger, als der Vergleich kalkulatorisch vorgesehen hat.

Selbst wenn man also über die Missachtung von grundlegenden Auslegungsbestimmungen und die Defizite in der Beweiserhebung hinwegsehen würde, wäre das Ergebnis bei Anwendung von Recht und Gesetz ein anderes gewesen.

Wenn also überhaupt etwas aus dem Urteil folgen könnte, wäre es das allseitige Wiederaufschnüren: Die Kostenträger würden vor der Reichweite der Erledigung bewahrt und könnten den „Windfallprofit“ aus einer selbst kreierten Kapriole des Umsatzsteuerrechtes geltend machen. Die Krankenhäuser könnten in den Genuss der erst jüngst vom BSG beschiedenen, deutlich niedrigeren Höhe des Erstattungssatzes kommen. Beides widerspräche dem Vergleich, der eben Befriedung gewährleisten sollte, aber sodann würde beiden Seiten die Vorteile aus den zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsentwicklungen verschafft.

C. Kontext der Entscheidung

Auf den steuerrechtlichen und leistungserbringerrechtlichen Kontext der Entscheidung ist schon unter B. zwecks Einordnung der Entscheidung eingegangen worden. Dieser Kontext ist in dem Urteil unberücksichtigt. Unter Berücksichtigung des Kontextes ist Folgendes anzumerken:

1. Die Problematik der Erstattungsansprüche hat bundesweite Relevanz. Es sind verschiedene grundsätzliche Fragestellungen zu beantworten. Zuvorderst stellt sich bereits die Frage, ob eine ergänzende Vertragsauslegung nicht mangels beiderseitigen Irrtums ausgeschlossen ist, namentlich, wenn sich Krankenkassen darauf berufen, dass die Ermäßigung für Fertigarzneimittel schon seit 2013 als geklärt gelten müsse bzw. wenn trotz Uneindeutigkeiten in der Anwendung keine darauf ausgerichteten Vertragsregelungen vereinbart wurde. Weiterhin ist es bei einer Änderung von 19% auf 0% denkbar, dass kein Erstattungsanspruch besteht. Ein solches Ergebnis liegt in der Logik des BSG-Urteils vom 18.08.2022 (B 1 KR 30/21 R), und zu diesem Ergebnis ist das SG Hannover mit Urteil vom 14.02.2023 (S 67 KR 1000/20 KH) ebenfalls für Fertigarzneimittel gekommen. Ob diese Frage sodann anders zu beurteilen ist, wenn für die Vergangenheit für gemeinnützige Träger eine Umstellung auf den ermäßigten Steuersatz von 7% nicht ausgeschlossen, ist ebenfalls zu klären. Eine abweichende Beurteilung ist hierbei zu verneinen, weil die grundlegende Vertragslogik kalkulatorische Chancen und Risiken jenseits des Listenpreises den Krankenhäusern zuweisen und die steuerlichen Lasten unabhängig vom Verkaufssteuersatz sind (vgl.o. unter B. II. 1).

Außerdem ist ein Anspruch fragwürdig, weil nach dem aktuellen Stand der ermäßigte Steuersatz objektiv rechtswidrig ist und für die Vergangenheit nur eine Duldung aus Billigkeitsgründen in Betracht kommt, die wiederum auf einer rückwirkend geschaffenen Fiktion beruht. Kann eine Krankenkasse einen Anspruch darauf haben, dass ein Krankenhaus einen objektiv rechtswidrigen Steuersatz gegenüber dem Finanzamt durchsetzt? Gilt dies auch, wenn dieser Steuersatz auf einer – nach Maßgaben des BSG – schlichten Fiktion bzw. je nach Perspektive unzutreffenden Auslegung des Umsatzsteueranwendungserlasses beruht? Ist es zu berücksichtigen, dass dieses Ergebnis durch eine fragwürdige Einwirkung in einem fragwürdigen Verfahren bewirkt wurde und in jedem Fall der Transparenz, vollen Information und Partizipation der Betroffenen entbehrte?

Darüber hinaus ist zu klären, ob eine der BSG-Rechtsprechung nach notwendige „einfache und risikolose“ Rückforderung möglich ist. Dagegen sprechen viele Gründe. Diese liegen in der fehlenden höchstrichterlichen Klärung der Steuerermäßigung. Weiterhin folgen sie aus der von der Rechtsprechung nicht beleuchteten Besonderheit, dass hier in jüngerer Zeit sog. „offene Umsatzsteuerausweise“ erfolgten. Deren Rückabwicklung ist nicht einfach und risikolos.

Nach den Maßgaben des BMF-Schreibens vom 13.12.2022, Tz. III Absatz 3 Satz 1 i.V.m. BMF-Schreiben vom 28.09.2016 Tz. III i.V.m. Umsatzsteueranwendungserlass Abschn. 14c 1 Abs. 5 bis 7 müsste das Krankenhaus den Erstattungsanspruch der Krankenkasse durch Auszahlung vorfinanzieren, um überhaupt eine Erstattung erhalten zu können. Außerdem wären die an die Krankenkassen gestellten Rechnungen zu korrigieren.

Indes ist bisher ungeklärt, wann tatsächlich ein offener Ausweis vorlag. Das hängt von der Interpretation der Rechnungslegung ab dem 01.07.2017 auf der Grundlage des § 300 Abs. 3 SGB V ab und es hängt davon ab, welche Rechnungen von Rechenzentren an die Krankenkassen übersandt wurden. Diese Rechnungen kennt das Krankenhaus nicht, wenn und soweit es Rechenzentren in Anspruch genommen hat, was den Regelfall darstellt. Rechenzentren erstellten eine einheitliche Rechnung für eine Vielzahl von Krankenhäusern, die als Sammelrechnungen den Krankenhäusern nicht offengelegt wurden. Es dürfte unerlässlich sein, den Krankenkassen aufzuerlegen, die tatsächlich erhaltenen Rechnungen vorzulegen.

Weiterhin ist ungeklärt, ob im Fall des offenen Ausweises mangels Vorsteuerabzugsrechts der Krankenkassen tatsächlich die Notwendigkeit der Rechnungsberichtigung besteht. Auch ungeklärt ist, wenn diese Notwendigkeit besteht, in welchem Umfang tatsächlich im Voraus Zahlungen an die Krankenkasse erfolgen müssten. Gilt die aus dem Vertrag folgende Höhe und was gilt, wenn die aus dem Vertrag folgende Höhe null Euro ist? Kann sich das Finanzamt hier über die vertraglichen Regelungen hinwegsetzen oder legt es die Höhe unter Umständen letztlich fest? Wenn der Betrag unzutreffend ist, ist dann eine Korrektur möglich? Wer entscheidet dann im Streitfall schlussendlich: das Finanzgericht oder das Sozialgericht? Was geschieht bei widersprechenden Entscheidungen?

Außerdem besteht auch im Fall der Erstattung durch das Finanzamt keine Sicherheit, dass nicht später im Rahmen einer Betriebsprüfung und dann konkretisierter Verwaltungsmaßgaben sich die Abläufe als erneut „falsch“ herausstellen. Dann kann das Finanzamt seine Forderungen aufgrund fortentwickelter Erkenntnisse schneller vollstrecken als ein Krankenhaus die Rückforderungen gegenüber einer Krankenkasse durchsetzen kann. Im Streitfall tritt dann im ungünstigsten Fall eine Finanzierungslücke mit einem Volumen von 12% der Fertigarzneimittel-Umsätze von mehr als einem Jahrzehnt ein, die zu schließen bei den aktuellen Zeitläufen solch komplexer Verfahren vor den Sozialgerichten eben fast diesen Zeitraum einnehmen kann.

Außerdem dürfte, so ist zu befürchten, ein zu einer ähnlichen Frage des österreichischen Rechts erfolgtes Urteil des EuGH vom 08.12.2022 (C-378/21) keine Klärung mit sich bringen. Zwar hat der Vorsitzende des zuständigen Umsatzsteuersenates des BFH schon Anpassungsbedarf angekündigt, diesen indes unter Vorbehalte gestellt (Wäger, UR 2023, 45, 64). Auch entscheiden Finanzämter dem Vernehmen nach gegen eine einfache und risikolose Rückabwicklung.

Generell stellt sich damit die Frage, welche Risiken ein Krankenhaus eingehen muss. Für diese besonderen Vollzugsschwierigkeiten gibt es noch keine nachhaltigen Erwägungen in der Rechtsprechung, die ein Krankenhaus zur Hinnahme diese Risiken zwingen, obgleich der Vorteil aus der Inkaufnahme der Risiken ausschließlich bei den Kostenträgern liegt.

2. Auch im Hinblick auf die Frage der Erledigung von Ansprüchen aufgrund eines umfassenden Vergleichs besteht Klärungsbedarf. Hier ist die Entscheidung des SG Aachen zur gleichen Problematik konsequent. Das bestätigt die Entscheidung des SG Duisburg angesichts seiner unschlüssigen Gestaltung (vgl.o. unter B. II. 2). Das Urteil des SG Aachen vermeidet auch den Effekt der Entscheidung des SG Duisburg, das an sich Vergleiche der Gesamtnichtigkeit anheimfallen lassen müsste. Im ungünstigsten Fall wäre das Urteil des SG Duisburg zudem der Wegbereiter für Kostenträger, Vertragsreue durchsetzen zu können, obgleich der Unbeachtlichkeit von Motivirrtümern ein in der Rechtshistorie weit über Savigny hinausreichende Irrtumslehre zugrunde liegt (vgl. Schermaier, ZEuP 1998, 60). Zudem ist dieser Grundsatz noch heute gut begründet: „Es würde die für die Parteien mit bindenden Rechtsgeschäften verbundenen Vorteile vereiteln, wäre jeder Motivirrtum rechtlich relevant, gerade weil dieser so weit verbreitet ist“ (Rehberg in: BeckOGK, § 119 BGB Rn. 130.2).

D. Auswirkungen für die Praxis

Folglich dürfte die Entscheidung keine Auswirkungen auf die Praxis haben und allein Anlass geben, die tatsächlichen Fragen, die eben genannt wurden, eingehend zu durchleuchten:

1. Hierzu hat das SG Hannover mit einer Erstattungsversagung ein Ergebnis gefunden, das die grundsätzliche Tendenz des BSG aus 2022 fortschreibt, im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung, die eine der maßgeblichen ex-ante-Perspektive gerecht werdende Vertragsauslegung unterstützt. Weiterhin kann sich auswirken, dass einige zentrale Fragen zum Vollzug einer Rückabwicklung gegenüber dem Finanzamt bisher nicht geklärt sind, sich aber noch weitere Klärungen, z.B. infolge des EuGH-Urteils vom 08.12.2022 - C-378/21, ergeben könnten.

2. Die vielen Begründungsschwächen des Urteils unterstreichen sodann in Sachen Erledigungswirkung des abgeschlossenen Vergleichs die Richtigkeit des Urteils des SG Aachen, was die Auffassung zugunsten einer Erledigungswirkung unterstützt. Damit dürfte zugleich die einzig mögliche noch als schlüssig ableitbare Konsequenz des Urteils, nämlich die Unwirksamkeit des Vergleichs insgesamt, nicht zum Tragen kommen. Deswegen mag der Ansatz, die Erledigungswirkung in Frage zu stellen, eine vereinzelte Meinung bleiben, da keine Partei ein Interesse haben kann, den Vergleich für Zubereitungen dann ebenfalls wieder aufschnüren zu müssen.

3. Was die Entscheidung als mögliche Auswirkung für die Praxis in jedem Fall unterstreicht, ist die Vorzugswürdigkeit von Verständigungen zwischen den Parteien. Die Rechtslage ist mit ihren Verflechtungen und Interdependenzen außergewöhnlich komplex, so dass Gerichtsentscheidungen mit einem hohen Risiko verbunden sind, aufgrund unzureichender Durchdringung in sachwidrige Extremen zulasten der einen oder der anderen Seite zu enden, obgleich eine gemäßigte Lösung den Parteien in jeglicher Hinsicht gerechter würde. Zwar erscheint diese Einschätzung kontraintuitiv, da das Urteil des SG Duisburg den Krankenkassen nach Abschluss einer Vereinbarung die Durchsetzung von „Vertragsreue“ Tür und Tor eröffnet. Verständigungen zwischen Krankenhäusern und Kostenträgern sind, würde das zur allgemeinen Leitlinie, das sprichwörtliche Papier nicht wert, auf dem sie verfasst sind. Angesichts der allgemeinen Rechtsprechungsgrundsätze, die den Parteien einen Schutz vertraglicher Abreden einräumen, wird man jedoch darauf vertrauen können, dass Verständigungen gleichwohl sinnvoll bleiben und vor anderen Spruchkörpern Bestand behalten.


Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!